Theater und Haka?
Wie ist es möglich einen Krafttanz inspiriert durch den Maori-Haka in einem Theaterstück zu inszenieren, so dass es echt und authentisch wirkt? Das erfahren Sie in diesem Artikel.
Eine interessante Anfrage
September 2021: ich bekomme eine Mail mit der Anfrage, ob es vorstellbar ist, einen Haka in einem Theaterstück zu inszenieren.
Mein erster Gedanke: das klingt spannend und ist eine echte Herausforderung!
Ich telefonierte mit der verantwortlichen Regisseurin Daniela Kerck (Wien). Wir sprachen und es wurde klar, dass es eine wirkliche Herausforderung werden wird, aber wir hatten grosse Lust es zu versuchen und zu einem guten Ende zu bringen!
Uns war klar, dass wir gleich mehrere Ansprüche unter einen Hut bringen müssen:
Der Autor hat am Ende des Stückes einen Haka hineingeschrieben, mindestens das was er beschreibt, ist eindeutig ein Haka.
Und das in einem Stück, das aufzeigt, wie die weissen Siedler mit den Natives des amerikanischen Kontinents umgegangen sind und welche Wahrheiten sich hinter den Helden und Gründern der Neuen Welt verbargen. Natürlich berührt das auch das Thema des kulturellen Aneigung. Da ich mich mit dem Haka seit 15 Jahren beschäftige, war mir dieses Thema bewusst.
Wir vereinbarten, dass wir keinen Haka choreografieren und inszenieren werden. Gleichermassen jedoch vom Haka der Maori inspirieren lassen. Und etwas ganz eigenes kreiieren, jedoch natürlich auch die Vorgaben des Autors einbeziehen.
Andererseits ging es auch um die Inszenierung als solche: es war klar, dass es echt wirken muss, wenn sich am Ende des Stücks der gesamte Gemeinderat zu einem Krafttanz in der Mitte der Bühne versammelt. Einfach gesagt, die Zuschauer sollen in den Bann der Energie des Krafftanzes gezogen werden und ihn nicht belächeln.
Ein ziemliches Stück Arbeit lag vor uns!
Trailer The minutes
Und so funktionierte es
Im Dezember war es dann so weit: ich fuhr zum ersten Mal zum Staatstheater nach Wiesbaden, um den Schauspielern einen ersten Einblick zu geben und auch eine Choreografie zu entwerfen, die allen Ansprüchen genügt.
Schon von Anfang an faszinierte mich die Herangehensweise an das Theaterstück, das gemeinsame Ringen den Text zu verstehen und als Ensemble das Stück auf die Bühne zu bringen. Tag für Tag kam etwa neues dazu, wurde wieder etwas "rausgeschmissen".
Zumal auch andere Umstände Einfluss auf die Arbeit hatten: die Schauspieler sind zum gleichen Zeitpunkt nicht nur mit dem Proben eines Stückes beschäftigt. Vormittags die Arbeit an The minutes und am Nachmittag ein anderes Stück. Dann hier eine weitere Kostümanprobe oder dieses und jenes. Und dann gab es ja auch noch Corona. So gab es immer wieder Proben, an denen nicht alle Schauspieler und Schauspielerinnen gemeinsam da waren.
Schon zu Beginn fühlte ich mich beschenkt diesen Entwicklungsprozess von Beginn an begleiten zu dürfen und so einen tiefen Einblick in den Arbeitsalltag der Schauspieler und die Abläufe in einem Theater zu bekommen.
Die SchauspielerInnen hatten natürlich schon vom Haka gehört, aber hatten doch gehörige Zweifel, ob es möglich ist, einen kraftvollen Tanz zu choreographieren, der seine Wirkung auf der Bühne zu 100 % entfaltet.
Mit 15 Jahren Erfahrung darin, Menschen zu diesem inneren und äusseren Punkt zu begleiten, an dem sie sich in ihrer Kraft ausdrücken können UND es authentisch und echt wirkt, war ich mir sicher, dass wir das schaffen!
Es war mir eine grosse Freude und auch ein Genuss mit Profis zu arbeiten, für die Atmung, Stimme, Gestik, Mimik und Ausdruck bekannte Themen sind. Gemeinsam entwickelten wir einen Kraft-Tanz in deutscher Sprache, der eigenes in sich trägt und sich auch hat vom Maori-Haka inspirieren lassen.
Insgesamt war es ein anspruchsvolles Projekt, weil wir im Grunde 2 Monate Probenzeit hatten, in denen auch Corona seine Spuren hinterliess. 2 Rollen mussten durch neue Schauspieler ersetzt werden.
Aber am 5.Februar war es dann soweit: Premiere!!!
Stolz saß ich im Parkett im Kleinen Haus im Staatstheater Wiesbaden und erlebte ganz wunderbare Menschen, die der deutschen Ur-Aufführung von The minutes - Die Schlacht am Mackie Creek Leben einhauchten.
Die letzten Minuten waren angebrochen: ich kannte das Stück ja in- und auswendig und wusste, wann der Krafttanz kommt.
Bürgermeister Superba streift sich die Schuhe ab, zieht das Hemd aus und ruft den Gemeinderat zum gemeinsamen Kraft-Tanz-Ritual zusammen, was für eine Spannung!
Und ja, sie haben es auf die Bühne geschmettert! Sie haben das geschafft worum es geht, wenn Du einen Krafttanz oder Haka tanzt: die Worte und Bewegungen müssen vibrieren, du musst diesen Tanz zum Leben erwecken!
Wow! Ich bin begeistert. Die Stille nach dem Schwarz ist förmlich spürbar, und die Leute atmen auf, als das Licht wieder an geht.
Zum Abschluss dürfen auch die Regisseurin, die Kostümbildnerin und ich auf die Bühne und uns den Applaus abholen. Ein tolles Gefühl.
Danke an Daniela, Hannah, Anika, Helena, Dorothee, Leonard, Regine, Franziska, Karin und Lena, Evelyn, Sophie, Benjamin, Uwe, Jürg, Lukas, Christoph, Noah, Martin, Matze, Tobias für die tolle Zusammenarbeit und die Einblicke.
Tracy Letts
Tracy Letts, geboren 1965 in Oklahoma, ist ein US-amerikanischer Schauspieler und Dramatiker. Für das Theaterstück August: Osage County erhielt der den Pullitzer-Preis und den Tony-Award für sein Schauspiel in Wer hat Angst vor Virginia Woolf?
wikipedia.org
The minutes, das Theaterstück
Im Theaterstück The minutes geht es um eine typische amerikanische Kleinstadt im Mittleren Westen der USA mit Namen Big Cherry. Ort der Handlung ist die wöchentliche Sitzung des Gemeinderats. Der Neuling Mr.Peel kommt verschiedenen Dingen auf die Spur, die von den übrigen Gemeinderatsmitgliedern unter den Teppich der Geschichte gekehrt werden wollen. Der Autor Tracy Letts thematisiert den kollektiven Umgang der USA mit ihrer eigenen Entstehungsgeschichte und wieviel Blut und Leid in Wahrheit an den Händen der Stadthelden hängt.
Über die Fotos
Die hier gezeigten Bilder wurden von der Fotografin Xiomara Bender gemacht. Vielen Dank für das zur Verfügung stellen.
Kritiken zum Stück
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Matthias Bischoff
Frankfurter Rundschau, Marcus Hladek
https://www.fr.de/kultur/theater/the-minutes-in-wiesbaden-big-cherry-wie-es-begann-91284966.html